20.10.2017 Carolin Steimer

Teil der langen Tafel in der Sonderausstellung "Gaumenschmaus und Augenfreude", Foto: Hoffmann

Das Kochen ist eine der bedeutendsten kulturellen Errungenschaften. Doch nicht nur das Zubereiten der Nahrung, das die Kenntnis des Feuermachens und die Beschaffung nötiger Zutaten voraussetzt, sondern auch der gemeinschaftliche Verzehr mit allem „Drumherum“ gehört dazu: die Esskultur. Als wissenschaftliche Volontärin hier in der Kaiserpfalz gehört die Auseinandersetzung mit dieser auch in mein umfangreiches Aufgabenfeld. Die kaiserliche Pfalz diente nämlich im Mittelalter insbesondere dem Empfang und der Bewirtung (hoher) Gäste. Meine Arbeitsstelle ist also – salopp gesprochen – ein historischer Partysaal mit damals noch hauseigenem Catering-Service. Die Beschäftigung mit dem Thema Essen (im Mittelalter) hat mir seine verkannte Omnipräsenz in unser aller Alltag (wieder) bewusst gemacht und mir gezeigt, dass es jenseits aller kalorischen Fragen und dem medial forcierten Diätwahn auch noch den ureigenen kulturellen Aspekt gibt: Was bedeutet der Akt des Essens für uns Menschen?

Hístorische Gläser in der Dauerausstellung, Foto: Noltenhans

Am Anfang jeder wissenschaftlichen Tätigkeit steht die Beobachtung bzw. das Fakten Sammeln. Ich stelle fest: Wenn ich auf der Arbeit bin, beiße ich – wie das im laufenden Betrieb so üblich ist – morgens zwischen zwei E-Mails und einem Anruf mal eben ins Brötchen, schlürfe einen Kaffee, hole mir mittags einen Snack auf die Hand aus der Stadt und abends…ja, abends wird dann daheim gekocht. Das unterscheidet sich allerdings signifikant von dem, was ich aus meiner Kindheit kenne, denn da gab es die selbstgekochte Mahlzeit meiner Mutter am Mittag nach der Schule und am Abend das wortwörtliche Abendbrot. Das Essen unterwirft sich immer der jeweiligen Alltagsstruktur; es ist viel zu oft eine sekundäre Notwendigkeit, um sich bei Kräften zu halten. Das hat auch absolut seine Berechtigung, ist und war (!) aber eben nicht alles.

 

Während ich mich parallel zum Biss ins schnell zusammengeschmierte Butterbrot mit den üppigen mittelalterlichen Festgelagen auseinandersetze, kommt mir angesichts dieses Paradoxons schon ein bisschen das Schmunzeln. Natürlich ist mir bewusst, dass die Rahmenbedingungen der Nahrungsaufnahme, also das, was wir als Esskultur bezeichnen – seien es Tischsitten, regionale Eigenheiten oder religiöse Vorgaben –, während des Alltags immer andere sind und waren, als solche, die lang geplante Festmähler mit sich bringen und brachten. Es provoziert aber eben doch zum Transfer zwischen beidem.

Ebenso kann ich viel über das Essen lesen und mir über vergangene Zeiten und ihre Gepflogenheiten Kenntnis verschaffen, doch wenn ich nicht den Bezug zur Gegenwart herstelle, bleibt all das weitestgehend fruchtlos.

Ein "Blick in die mittelalterliche Küche" in der Dauerausstellung, Foto: Noltenhans

Das Museum ist einer der Orte, der diese Übertragung durch Anschauung und Selbstversuche ermöglicht. Nur wenn ich mir bewusst mache, was es bedeutet allein mit Hilfe von Holz und Feuer das Essen für mich, meine Familie oder gar eine 200-köpfige Festgesellschaft zuzubereiten, kann ich meinen Blick kritisch auf die Gegenwart wenden und feststellen, wie unfassbar einfach kochen heutzutage ist und wie unreflektiert wir oftmals Dinge in uns hineinstopfen. Die Slow Food-Bewegung knüpft seit  Ende der 1980er Jahre genau dort an. Ich jedenfalls habe ausprobiert, wie es ist, erst sein Holz zu hacken, dann ziemlich lange zu warten, bis das wenige Wasser im Topf endlich zu kochen beginnt und dann aus ein bisschen Getreide und (saisongerechtem) Gemüse eine eher geschmacksneutrale, aber wohl „historisch korrekte“ Suppe anzurichten.

Einer meiner Mitautoren des Mittelalterblogs hat es sogar noch professioneller versucht. Mein Testergebnis lautet jedenfalls: Ich schätze meinen Herd zu Hause sehr, aber noch mehr schätze ich die dadurch gewonnene Zeit, am Abend mit meiner Familie unsere Esskultur zu pflegen. Denn ob mühevoll zubereitet oder auch mal nur aufgewärmt: Die Geselligkeit ist wohl das Besondere am Essen, das wir uns gönnen und erhalten wollen.

Doch zurück zum Alltag, meiner wissenschaftlichen Wirkungsstätte im Museum in der Kaiserpfalz, wo meine Gedanken geschürt wurden.

Die Aula regia in der rekonstruierten Pfalz Heinrichs II., Foto: Burgemeister

Die Arbeit hier in dieser festlichen Aula zwingt mir nämlich schon die Hinterfragung einer „Esskultur des Alltags“ auf – und da bin ich auch längst nicht die Einzige, wie eine unserer vergangenen Sonderausstellungen „Gaumenschmaus und Augenfreude – Tisch- und Tafelkultur durch zehn Jahrhunderte“ zeigte sowie Dortmunder Kollegen und Blogger wie Thomas Gerlach und Peter G. Spandl beweisen. Warum also nicht auch im Alltag mehr Bewusstsein für die Nahrungsaufnahme entwickeln? Weshalb sollte das Frühstück für mich und meine Kollegen nicht auch ein kleines Festmahl sein? Warum sich eigentlich nicht zusammensetzen, gemeinsam essen und trinken und miteinander ins (Tisch-)Gespräch kommen? Da spielt dann der Faktor Zeit gegen uns, doch wir haben eine Lösung gefunden: Wir kombinieren unsere Dienstbesprechung mit einer gemeinsamen Nahrungsaufnahme und kreieren dabei eine ungezwungene Atmosphäre für die Besprechung und einen Zusammenfinden im Alltag. Kultur ist eben, was Mensch selbst draus macht, und das vergisst eben dieser auch gern einmal! Da gilt es dann, den Blick und die Sinne zu schärfen. Mir hat die wissenschaftliche Brille der Kulturvermittelnden dabei geholfen.

Danke, liebe Kolleginnen und Kollegen vom AMH, für die Organisation dieser inspirierenden Blogparade!

 

Sarah K. Weber

Kategorie: Und sonst?