Die kleinen Dingen

30.09.2021 Sonnhild Weirauch

Betrachtungen einer Praktikantin

Warum gehen wir eigentlich ins Museum? Und wie wollen wir Vergangenheit erleben? Gerade nach der langen Zeit, in der es uns kaum noch möglich war, ins Museum zu gehen, halte ich es für eine gute Gelegenheit, einmal darüber nachzudenken.

 

Wir wollen der Vergangenheit näherkommen, wir wollen uns vorstellen können, wie die Menschen früher gelebt haben, vielleicht gehandelt haben, auf dem Grund und Boden, den wir heute betreten. Wir wollen andere Sichtweisen kennenlernen, oder neue Informationen gewinnen, die unser Weltbild erweitern.

Blick auf die Tischvitrine im Zwischengeschoss (Foto: Noltenhans/ LWL)

Beeindruckend in einem Museum sind zunächst die großen Exponate, die, die besonders schön sind und die ins Auge fallen, oder jene, die eine besonders spannende Geschichte haben.

Doch mit etwas Zeit, bemerkt man in einem Museum auch die kleinen Dinge. Die Objekte, deren Bedeutung vielleicht nicht mehr eindeutig zu benennen ist, die Gegenstände, die uns heute nicht mehr als etwas Besonderes erscheinen. Wir neigen dazu, an ihnen vorüber zu gehen, doch sind es nicht gerade diese Dinge, die Unscheinbaren, die ebenso großes Potenzial in sich tragen? Für Historiker und Restauratoren oftmals sogar noch größeres, als die großen Gegenstände, und für uns, wenn wir versuchen sie zu ergründen, uns vorzustellen versuchen, wie sie einst verwendet werden konnten, oder welche Bedeutung sie für eine Person gehabt haben können. Es sind auch die kleinen Dinge, die uns in einem Museum begegnen und zum Nachdenken anregen können. Zum Umdenken bezüglich Wert und Vergangenheit.

 

Eindrücklich wird dies besonders, wenn man sich die Eisenstücke anschaut, an denen der Zahn der Zeit oftmals unbarmherzig genagt hat, oder Ton-/ Glasstücke, die im wahrsten Sinne des Wortes nur noch Bruchstücke ihrer einstigen Bedeutung sind. Gegenstände, auf die man sich einlassen muss, die man mithilfe der Informationstexte und seiner eigenen Vorstellungskraft zu ihrer vormaligen Größe, und darüber hinaus, wiedererwecken und dabei erkennen kann, wie viel sie einem nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch noch über die eigene Gegenwart verraten können.

Metall- und Tonstücke, die zum Nachdenken anregen (Foto: Weissgerber/ LWL)

Für mich ist eines dieser besonderen Gegenstände im LWL Museum in der Kaiserpfalz ein runder Bergkristall aus dem 6. Jahrhundert, der über die Zeit mit einem Messer korrodiert ist. Auf den ersten Blick ähnelt er einer Glasmurmel mit etwas Rost daran. Heute etwas scheinbar Alltägliches, hübsch, aber nicht außergewöhnlich. Erst auf den zweiten Blick erkennt man die feine Verarbeitung, die Einfassung des Kristalls mit Silber, die in Mittelalter keinesfalls selbstverständlich war. Auf den zweiten Gedanken wird einem die Bedeutung bewusst, die dieser Gegenstand gehabt haben muss. Die Menschen glaubten, Bergkristall müsse aus Eis bestehen, da sie Glas in dieser Form kaum kannten. Ihm wurden daher kühlende und heilende Wirkungen zugeschrieben. Ein Wunder nahezu, mit unschätzbarem Wert, ein Amulett welches einer jungen Frau nach ihrem Tod mit ins Grab gelegt worden ist. 

Der Bergkristall (Foto: Brentführer/ LWL)

In ein Museum zu gehen, bedeutet auch, den Willen zu haben, sich auf die Vergangenheit einzulassen, sie kennenlernen zu wollen, anstatt sie nur zu betrachten. Dann eröffnen sich spannende und wundersame Einblicke in die Vergangenheit.

Autor: Lena Wanke