Der rauchende Schlot von Paderborn

25.10.2019 Carolin Steimer

Der fertige Rennofen (Foto: LWL/C. Streuber)

Das Rennofen-Experiment vor der Kaiserpfalz

Als archäologisches Museum stellen wir die Hinterlassenschaften vergangener Generationen aus, die bei Grabungen gefunden werden. Schmuck, Waffen, Werkzeuge, aber auch Reste von Gebäuden wie Wandputz oder Fensterglas. Aber Archäologen machen auch Funde, die sich nicht so leicht ausstellen lassen. Das sind meist Spuren in Form von Bodenverfärbungen die anzeigen, dass dort mal etwas im Boden vorhanden gewesen ist – sei es ein Holzpfahl, ein Sarg oder eine Feuerstelle. In unserem Fall hat es sich um einen Rennofen zur Eisenherstellung gehandelt. Von dessen Funktionsweise kann man dann in der Ausstellung zwar Abbildungen und Schlackereste zeigen, den Ofen selbst aber nicht.

Um so einen Ofen doch mal demonstrieren zu können, haben wir uns für das Wochenende nach Libori Besuch aus Greven im Münsterland eingeladen. Fünf Mitarbeiter des Freilichtmuseums Sachsenhof Greven haben sich zu uns auf den Weg gemacht, um mit uns ein archäologisches Experiment durchzuführen. Sie sind nämlich Experten im Bau von Rennöfen – schon über 60 haben sie in ganz Europa errichtet und betrieben.

Zum Bau eines solchen Ofens benötigt man gar nicht viel: Lehm, Holz, Holzkohle, Erz, körperliche Arbeitskraft und viel Zeit, unser Experiment dauerte nämlich zweieinhalb Tage. Zunächst haben wir ein Loch in den Boden gegraben, das später als Schlackegrube diente. Diese kleideten wir mit Lehm aus und errichteten dann einen runden Schacht darüber. Dazu wurden zehn bis zwanzig Zentimeter dicke Tonklumpen zunächst gut durchgeknetet und dann nach und nach auf die bereits bestehende Ofenwand aufgetragen. In der Grube wurde ein kleines Feuer angezündet, um den wachsenden Ofenschacht langsam zu trocknen. So wurde der Lehm hart und tragfähig, sodass oben immer neue Schichten aufgetragen werden konnten.

  • Die Schlackegrube wurde mit Lehm ausgekleidet. (Foto: LWL/ T. Lodemann)

  • Nach und nach wuchs der Rennofen in die Höhe. (Foto: LWL/ T. Lodemann)

  • Im Ofen brannte dauerhaft ein Feuer, damit die feuchten Lehmwände aushärten konnten. (Foto: LWL/ C. Streuber)

  • Der Rennofen wird mit Erz befüllt. (Foto: LWL/ C. Streuber)

Ein Rennofen in der Stadt macht neugierig. (Foto: LWL/C. Streuber

Eine Gruppe, die einen brennenden Lehmschlot mitten in der Stadt aufbaut, blieb auch von den übrigen Paderbornern nicht lange unbemerkt. Ein immer wechselndes Publikum bereicherte den Tag und nahm dem Team einige Arbeit ab. So fanden sich immer wieder kleine und große Helfer, die den Ofen weiter bauten oder mit ganzem Körpereinsatz die Blasebälge betätigten. Wer zusammen arbeitet kommt auch miteinander ins Gespräch. Und da die wenigsten viel von mittelalterlicher Eisenverhüttung wissen, ging es hauptsächlich darum. Unsere Kollegen vom Sachsenhof hatten reichlich Anschauungsmaterial dabei, um die vielen Nachfragen der Besucher zu beantworten. So gab es vom Erz bis zum fertig geschmiedeten Stück Eisen alle Stufen der Eisenverhüttung zum Ansehen und Anfassen. Die wichtigsten Fragen waren wohl: Wie funktioniert der Rennofen, was sind überhaupt Erz, Eisen und Schlacke und wie trennen sich Eisen und Schlacke? Zunächst eine kurze Einführung in die Begrifflichkeiten: als Erz bezeichnet man ein metallhaltiges Mineral, in unserem Fall meint Erz Eisenerz. Durch Erhitzen des Erzes trennt sich das Metall von den übrigen nichtmetallischen Bestandteilen. Dieses Abfallprodukt ist die Schlacke. Den gesamten Vorgang der Metallgewinnung aus Erz heißt Verhüttung.

Zurück zum Rennofen. Sind die Wände des Ofens fertig gebaut und komplett durchgetrocknet, wird in der Schlackegrube wieder ein Feuer angezündet und der Ofen langsam mit Holzkohle aufgefüllt. Zum Schluss kommt ganz oben eine kleine Ladung Erz und nochmal dieselbe Menge Kohle hinzu. Das Erz, das man hierzulande meist verhüttet hat, ist das sogenannte Raseneisenerz. So heißt es, weil es nur knapp unter der Grasnarbe liegt und man es leicht unter feuchten Wiesen ausgraben kann. Es ist ein biogenes Erz, das durch abgestorbene Bodenbakterien gebildet wird. Dieses Erz haben wir bei unserem Versuch auch verwendet. Es stammt aus einer Abbaustelle im Münsterland und besteht im Wesentlichen aus Eisenoxiden und Silikatverbindungen (das sind nichteisenhaltige Mineralien auf Siliziumbasis).

Im Ofen rutscht das Erz langsam nach unten, weil es schwerer als Kohle ist und diese langsam im unteren Ofenbereich verbrennt. Das Eisenoxid wird im Ofen von heißen Verbrennungsgasen umströmt, vor allem Kohlenmonoxid. Das Kohlenmonoxid zieht dabei den Sauerstoff aus dem Eisenoxid und reduziert es zu reinem Eisen.  Dort, wo die Düse mit den Blasebälgen sitzt, die frischen Sauerstoff in die Ofenkammer pustet, wird es so heiß, dass die Silikatverbindungen mit einem Teil des reduzierten Eisens eine dünnflüssige Schlacke bilden und nach unten in die vorher ausgegrabene Grube rinnen. Dort erstarren sie zur glasartigen Ofenschlacke. Die Temperaturen im Ofen reichen nicht aus, um das Eisen selbst flüssig zu machen, aber es wird zumindest sehr weich und klebrig. Auf Höhe der Düse für die Blasebälge klebt es zu einem schwammigen Haufen Roheisen zusammen, den Fachleute die Luppe nennen.

Eine Luppe. (Foto: LWL/ T. Lodemann)

Am Sonntag war es dann auch bei uns soweit: der Ofen war fertig aufgebaut und durchgetrocknet, Kohle und Erz konnten eingefüllt werden. Von den Blasebälgen befeuert erreichte der Ofen Temperaturen von über 1300 °C. Flammen schlugen nicht nur aus der oberen Öffnung des Ofens, sondern auch aus den Rissen, die sich inzwischen in der Ofenwand gebildet hatten. In Schutzkleidung und mit langen Eisenzangen näherten sich am Spätnachmittag zwei Mitarbeiter aus Greven dem Ofen. Nach und nach brachen sie die Lehmwände rund um die noch heißen Kohlen ab. In den Trümmern des Schlotes fanden sie einen weißglühenden Klumpen Eisen. Eilig legten sie diesen auf den bereitstehenden Amboss und verdichteten ihn mit kräftigen Hammerschlägen. Funken flogen, Wiese brannte und das Eisen bröckelte. Leider gelang es in unserem Experiment nicht, das Eisen zu einem Eisenschwamm, einer sogenannten Luppe, zu verdichten. Stattdessen haben wir mehrere kleine Stücke bekommen.

Trotzdem sind diese Stücke kein Abfall. In einem zusätzlichen Arbeitsschritt können diese einzelnen Stücke doch noch zu einer Luppe verarbeitet werden. Dazu muss das Eisen in einem weiteren Ofen, einer sogenannten Esse, nochmals erhitzt werden sodass das Eisen wieder weich wird. Mit Hammer und Amboss können die einzelnen Stücke dann zusammengeschlagen und zur Luppe verdichtet werden. Dieser Eisenschwamm ist aber noch lange kein ordentliches Schmiedeeisen, aus dem man einen Nagel oder einen Hammer schmieden könnte.

Um vernünftiges Schmiedeeisen zu bekommen, muss man es durch Schmieden immer weiter verdichten und immer wieder auf einander falten und verschweißen. Auch hier kommt wieder die Esse zum Einsatz, denn sie kann punktuell Temperaturen von 1500 °C erreichen, die man braucht, um das Roheisen zu verschweißen. Auch das haben uns unsere Gäste aus Greven demonstriert, denn so eine Esse kann man auch ganz einfach mit ein bisschen Lehm und Stroh auf dem Rasen bauen.

In der Esse glüht ein Stück Luppe. (Foto: LWL/ T. Lodemann)

Die sogenannte Seitenwindesse hat zwei Seiten aus Ton und zwei offene Seiten, wo der Wind hineinwehen kann. Zwischen den beiden Wänden liegen Kohle und das zu schmiedende Eisen. Um noch mehr Luft in die Kohlen zu bekommen und sie damit noch heißer zu machen, wird noch eine Tondüse für Blasebälge mit in die Esse eingebaut. Beim erneuten Erhitzen des Eisens braucht man ein gutes Auge. Denn anhand der Glühfarbe des Eisens muss seine Temperatur richtig abgeschätzt werden. Dann muss man schnell mit dem Hammer dabei sein. Das Eisen wird zunächst eckig ausgeschmiedet und dann umgeknickt, gefaltet und die beiden Hälften mit gutgezielten Schlägen miteinander verschweißt.

All die Arbeit ist nötig um mit den Mitteln des frühen Mittelalters eiserne Werkzeuge und Waffen herstellen zu können. Wie wertvoll aus Eisen hergestellten Produkte waren, versteht man noch besser, wenn man sich den Materialbedarf vor Augen führt. In unserem Experiment haben wir im Laufe von zweieinhalb Tagen aus 30 kg Erz und Kohle knapp 8 kg Luppe hergestellt. Um ein mittelalterliches Schwert zu schmieden benötigt man etwa 30 kg Luppe aus knapp 120 kg Erz, also fast viermal so viel. Dazu müsste man vier Rennöfen bauen, da man in einem Rennofen nicht unendlich viel Eisen verhütten kann. Für die Herstellung eines Schwertes konnte man allerdings kein Raseneisenerz verwenden, sondern brauchte bergmännisches Erz, da dieses einen höheren Kohlenstoff- und Phosphorgehalt aufweist. Der macht Eisen zu Stahl (von Stahl spricht man bei einem Kohlenstoffgehalt des Materials von 0,2% bis 2%) und die Klinge somit härter und widerstandsfähiger. Auch dieses bergmännische Erz wurde in Rennöfen verhüttet.

Zwei Riemenbeschläge eines Pferdegeschirrs. (Foto: LWL/C. Streuber)

Die vorläufigen Ergebnisse und die schönsten Funde beider Ausgrabungen kann man noch bis Ende Dezember in der Sonderausstellung „Lost Places – Vergessene Siedlungen im Paderborner Osten“ bei uns im Foyer des LWL-Museums in der Kaiserpfalz besichtigen. Besonders Auffallend sind die Parallelen zwischen den beiden Grabungen. Die Keramik und die alltäglichen Funde sind bei den Einwohnern beider Orte erwartungsgemäß recht ähnlich, obwohl sie zum Teil auf unterschiedliche Art und Weise ihren Lebensunterhalt bestritten haben. In „Maresvelde“ erzeugte man den begehrten Rohstoff Eisen, in der Siedlung auf den Springbachhöfen herrschte wahrscheinlich die Tierhaltung und Textilproduktion vor.

Ein ganz besonderer Fund aus „Maresvelde“ verbindet das dortige Metallhandwerk mit den Funden von Springbach Höfe jedoch auf erstaunliche Weise: Ein winziges Hämmerchen (Abb. – musst du vll noch machen, das Ding liegt in der Vitrine), mit dem ein Feinschmied in „Maresvelde“ möglicherweise so zierliche Arbeiten wie das Tauschieren der prachtvollen Riemenbeschläge von Springbach Höfe (Abb.) vollbringen konnte. Diese Riemenbeschläge zierten damals das stolze Ross eines hohen Herren. Ähnliche Beschläge, die im Frankenreich von gut bezahlten Spezialisten hergestellt worden sind, wurden im 9. und 10. Jahrhundert bis nach Böhmen und Mähren verhandelt, wo die heidnischen Fürsten sie sogar mit ins Grab nahmen. Dort finden sich heute noch die meisten dieser sogenannten gestielten Ösenbeschläge. Im Frankenreich, aus dem sie stammen, sind sie nur ganz selten erhalten. Immerhin vier Stück fanden sich in der Siedlung Springbach Höfe.

Schmiedewerkzeug. (Foto: LWL/ C. Streuber)

Der kleine Hammer, die Riemenbeschläge und die vielen anderen eisernen Stücke in unserer Ausstellung nahmen ihren Anfang als Eisenerz im Rennofen. Bis weit ins Mittelalter hinein wurde so Eisen verhüttet, bis im hohen Mittelalter langsam die ersten Hochöfen aufkamen, die in einer weiterentwickelten Form auch heute noch zur Metallverhüttung genutzt werden. Und doch starb der Rennofen nicht sofort aus: noch bis ins 19. Jahrhundert lässt er sich im Norden Europas nachweisen, bis in die 1970er wurde er in einigen Regionen Afrikas zur Eisenherstellung verwendet.

 

Till Lodemann und Carolin Streuber

 

Literatur:

Vita Meinwerci, cap. 214, in: Vita Meinwerci episcopi Patherbrunnensis – Das Leben Bischof Meinwerks von Paderborn. Text, Übersetzung, Kommentar, hg. v. Guido M. Berndt (= Mittelalter Studien Bd. 21), München 2009, S. 246f.

Ulrich Lehmann: Wurmbunte Klingen. Studien zur Konstruktion, Herstellung und Wertigkeit der frühmittelalterlichen Spartha in Westfalen (=Veröffentlichungen der Altertumskommission für Westfalen LWL, Bd. 21), Münster 2016. Besonders: S. 207-214.